Besserer Schutz gegen Nötigung und Stimmenkauf beim E-Voting

Online abstimmende Person. © iStock

Online abstimmende Person. © iStock

Passend zum Superwahljahr 2024, in dem fast die Hälfte der Weltbevölkerung zum Urnengang aufgerufen war, haben Forscherinnen und Forscher der EPFL eine neue revolutionäre Technologie entwickelt und in der Praxis getestet, die beim E-Voting gegen Nötigung und Stimmenkauf schützen soll.

2024 fanden in zahlreichen Ländern der Welt nationale und regionale Wahlen statt. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung war zum Urnengang aufgerufen. Diese Wahlen fanden vor dem Hintergrund wachsender geopolitischer Herausforderungen statt. In vielen Ländern gab es daher Bedenken hinsichtlich der Freiheit, Gerechtigkeit und Transparenz der Stimmabgabe.

Weltweit sind persönlich ausgefüllte und abgegebene Wahlzettel in Papierform bei Weitem die häufigste Form der Stimmabgabe.Die persönliche Stimmabgabe ist nicht perfekt, aber sie ist derzeit die Norm, um eine unzulässige Beeinflussung oder gar Nötigung bei Wahlen zu verhindern. Die Stimmberechtigten legen dabei ihren Identitätsausweis vor, betreten eine nicht einsehbare Wahlkabine, geben ihre Stimmen auf dem Wahlzettel ab und stecken ihn anschliessend in eine Urne. In der Regel wird das gesamte Verfahren zudem von unabhängigen Beobachterinnen und Beobachtern überwacht.

Die elektronische Stimmabgabe aus der Ferne (E-Voting) ist eine attraktive Option, weil sie bequem ist und zu einer höheren Wahlbeteiligung führen kann. Mit der heutigen Spitzentechnologie kann die elektronische Stimmabgabe universell überprüft werden – sodass jede und jeder Einzelne, nicht nur Wahlbeamtinnen und Wahlbeamte oder Beobachterinnen und Beobachter, prüfen kann, ob die Stimmen richtig ausgezählt wurden. Die meisten Online-Wahlsysteme sind jedoch anfälliger für Nötigung und Stimmenkauf als die persönliche Stimmabgabe. Zum Beispiel könnte eine neben einer Wählerin oder einem Wähler sitzende Person vorgeben, für wen die Stimme abgegeben werden soll.

Falsche Berechtigungsnachweise für eine sicherere elektronische Stimmabgabe

Es mag paradox tönen, aber offiziell genehmigte digitale Fälschungen sind eine vielversprechende Strategie, um das E-Voting weniger anfällig für Nötigung zu gestalten. Experimentelle elektronische Wahlsysteme ermöglichen es Stimmberechtigten, falsche Wahlberechtigungsnachweise zu erstellen, die sie Personen geben oder verkaufen können, von denen sie eingeschüchtert werden. Diese Personen können nicht erkennen, ob die Nachweise gültig sind oder nicht. Die mit den falschen Berechtigungsnachweisen abgegebenen Stimmen werden stillschweigend verworfen und bei der Wahl nicht gezählt.

Dennoch bleiben wichtige Fragen offen. Verstehen normale Wählerinnen und Wähler die Gefahr der Nötigung bei der Online-Stimmabgabe? Halten sie diese für bedeutend? Würden sie eine Technologie zur Minderung des Risikos, die auf falschen Wahlberechtigungsnachweisen beruht, verstehen und richtig anwenden?

Um diese Fragen zu beantworten, führten Forscherinnen und Forscher der Fakultät für Informatik und Kommunikation der EPFL in Boston (USA) eine systematische Studie mit 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durch, die sich für eine simulierte Wahl «registrierten» und «ihre Stimme abgaben». In ihrem Beitrag, den sie am 45. IEEE-Symposium über Sicherheit und Datenschutz vorstellten, beschrieben die Forscherinnen und Forscher, wie 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit falschen Berechtigungsnachweisen umgingen, während die anderen eine Kontrollgruppe bildeten.

«In unserem System müssen die Stimmberechtigten ihre legitimen und falschen Wahlberechtigungsnachweise noch selbst erstellen, um eine vertrauenswürdige Kommunikation zwischen Wählerin bzw. Wähler und der Aufsichtsbehörde zu ermöglichen – das ist die Grundlage für das Vertrauen», erklärt Professor Bryan Ford, Leiter des Labors für dezentrale und verteilte Systeme (DEDIS). «Allerdings müssen sie dies nur einmal alle paar Jahre tun, nicht bei jeder Wahl», fügt er hinzu. «Sobald die Stimmberechtigten ihre Wahlberechtigungsnachweise erstellt haben, können sie diese auf jedem Gerät nutzen, mit dem sie wählen wollen. Sie können auch von jedem gewünschten Ort aus wählen.»

Modernste kryptografische Technologie

Zur Erstellung ihrer Wahlberechtigungsnachweise verwendeten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer TRIP, den Prototypen eines E-Voting-Systems, das mittels falscher Nachweise Nötigung verhindert. Das von Bryan Ford und seinem Team entwickelte System erstellt anhand einer etablierten kryptografischen Technologie, die als Null-Wissen-Beweis bezeichnet wird, echte und falsche Wahlberechtigungsnachweise. So wissen die Stimmberechtigten, welche Nachweise echt sind, sie können es aber niemand anderem gegenüber beweisen.

Mit TRIP können die Stimmberechtigten sowohl echte Wahlberechtigungsnachweise als auch eine beliebige Anzahl falscher Nachweise ausdrucken, die QR-Codes verwenden.

Louis-Henri Merino, Assistent und Doktorand bei DEDIS

«Alle Wahlberechtigungsnachweise enthalten einen Null-Wissen-Beweis, der bei echten Unterlagen gültig und bei falschen ungültig ist. Nur den Stimmberechtigten, welche die Wahlberechtigungsnachweise jeweils erstellt haben, ist der Unterschied bekannt, weil sie die Reihenfolge der Druckschritte beobachtet haben. Nach dem Verlassen der Wahlkabine sind die Wahlberechtigungsnachweise nicht mehr voneinander zu unterscheiden», bestätigt Louis-Henri Merino, Assistent und Doktorand bei DEDIS und Hauptautor des Forschungsartikels.

Eine vielversprechende Technologie

Von den 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Studie mit falschen Wahlberechtigungsnachweisen verstanden fast alle (96 Prozent), wie diese verwendet werden. Mehr als die Hälfte gab an, dass sie in einem echten Wahlszenario falsche Nachweise erstellen würden, wenn sie die Gelegenheit dazu hätten. 10 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wählten jedoch irrtümlich mit einem falschen Wahlberechtigungsnachweis.

22 Prozent der Personen, die an der Studie teilnahmen, gaben an, selbst Vorfälle wie Nötigung oder Stimmenkauf erlebt zu haben oder unmittelbar von solchen Vorfällen gewusst zu haben. Sie waren der Ansicht, dass das System, das gegen Nötigung schützen soll, insgesamt genauso zuverlässig ist wie die persönliche Stimmabgabe in Wahllokalen mit Stimmzetteln in Papierform.

Von den 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die das System verwendeten, konnten 87 Prozent ihre eigenen Wahlberechtigungsnachweise ohne Hilfe erstellen. 83 Prozent erstellten und verwendeten sie erfolgreich. Die Benutzerfreundlichkeit des Systems wurde von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern mit einer Punktzahl von 70,4 bewertet. Dieser Wert liegt leicht über dem Branchendurchschnitt von 68.

Ich würde es wirklich begrüssen, wenn über diese Art von Plattform hinaus partizipativere Ansätze für die Demokratie entwickelt würden. Könnte ein System, das wirklich sicher ist, nicht dazu beitragen, die Demokratie grundlegend zu stärken?

Bryan Ford

Stärkung der Demokratie

«Ich interessiere mich für die elektronische Stimmabgabe, weil mir die Demokratie seit jeher am Herzen liegt. Das E-Voting muss eine regelmässigere Beteiligung gewährleisten und für Vertrauen und Vertraulichkeit sorgen. Solange wir die mit Transparenz und Nötigung verbundenen Probleme nicht lösen, können wir die aktuelle Technologie im Prinzip nicht nutzen und dafür sorgen, dass die Demokratie besser funktioniert», erklärt Bryan Ford. «Unsere Ergebnisse scheinen zu bestätigen, dass das Problem der Nötigung im Allgemeinen von grosser Bedeutung ist und sich mit falschen Berechtigungsnachweisen verringern lässt. Die Fehlerquote der Nutzerinnen und Nutzer stellt jedoch nach wie vor eine grosse Herausforderung dar und die Benutzerfreundlichkeit muss in Zukunft entsprechend verbessert werden.»

Wenngleich die Studie in den USA durchgeführt wurde, glauben die Forscherinnen und Forscher der EPFL, dass es auch hierzulande bedeutende Anwendungsmöglichkeiten geben könnte. Sie argumentieren, dass beim Schweizer Briefwahlsystem, ebenso wie bei elektronischen Wahlsystemen, Nötigung nicht ausgeschlossen werden kann, da die Briefwählerinnen und -wähler ihre Stimme ebenfalls in einem nicht kontrollierten Umfeld abgeben.

«Die Schweiz vertritt im Wesentlichen die Haltung, dass Nötigung rechtswidrig ist und dass die Schweizerinnen und Schweizer sich an das Gesetz halten. Sie geht daher davon aus, dass Nötigung nicht vorkommt. Ich würde mir eine Studie darüber wünschen, wie Schweizerinnen und Schweizer über die Nötigung von Stimmberechtigten und über potenzielle Lösungen denken. Schliesslich würde ich es wirklich begrüssen, wenn über diese Art von Plattform hinaus partizipativere Ansätze für die Demokratie entwickelt würden. Könnte ein System, das wirklich sicher ist, nicht dazu beitragen, die Demokratie grundlegend zu stärken?», fragt Bryan Ford abschliessend.


Autor: Tanya Petersen

Source: EPFL

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